Da uns nur wenig Zeit zur Verfügung gestanden ist, konnten wir den Inhalt des Stücks nicht gemeinsam mit den Kindern erarbeiten, sondern haben uns vom Schriftsteller Martin Auer eine Textvorlage gewünscht. Als Unterstützung für jungen Darsteller:innen konnten wir den Schauspieler Gernot Kranner gewinnen. Der konnte als Ausrufer und Kommentator die Kinder sicher durch den Ablauf führen.
Die folgenden Texte sollen als Anregung für eigene Texte dienen, dürfen aber auch nachgespielt werden.
Kinder fordern Sicherheit: Das Schutzengerl
Ausrufer: Bitte zurücktreten, bitte zurücktreten für die größte Auto-Show dieses Sommers! Bitte machen sie Platz, bleiben Sie hinter der gelben Linie und erwarten Sie das größte Motorspektakel, das Sie je an diesem wunderbaren historischen Ort sehen werden!
Kinder markieren mit Kreide ein langgezogenes Rechteck, das eine Straße darstellen soll.
Ausrufer: Machen Sie Platz und seien Sie gespannt auf eine Schau mit atemberaubendem Tempo, spüren Sie das Adrenalin, spüren Sie das Erlebnis der Geschwindigkeit, erleben Sie waghalsige Manöver zwischen donnernden Motoren. Kommen Sie, schauen Sie, staunen Sie! Der Einritt ist frei, Sie bezahlen nichts, Sie bekommen diese Show zur Verfügung gestellt von mutigen jungen Menschen, die keine Gefahr scheuen, die das Risiko wagen und sich dem Abenteuer der Geschwindigkeit stellen. Bitte treten Sie zurück, bitte machen Sie Platz für die mutigen jungen Helden, die jetzt gleich vor Ihren Augen der Gefahr trotzen werden und ihren Mut und ihre Einsatzbereitschaft demonstrieren werden. Gehen Sie nicht weiter, bleiben Sie hinter der gelben Linie, in wenigen Minuten geht es los, Sie werden staunen, ihr Atem wird stocken, Sie werden nicht glauben, welche Beispiel von Unerschrockenheit Ihnen hier vor Augen geführt werden. Bleiben Sie stehen, gönnen sie sich das Erlebnis, machen Sie Platz, gleich geht es los, gleich wird die Bühne freigegeben für das Monsterspektakel! Bitte bleiben Sie hinter der gelben Linie in Sicherheit.
(Und so weiter, bis das Publikum sich gesammelt hat)
Meine Damen und Herren, es geht los. Bitte begrüßen Sie nun die waghalsigen Fahrer:innen in ihren rasanten Boliden mit einem großen Applaus! Danke, danke, danke!
Fünf Kinder mit Autos laufen die Straße auf und ab, möglichst gleichmäßig verteilt, können sich auch mit Autos verbeugen.
Ausrufer: Hier sehen Sie eine ganz normale Straße in einem ganz normalen Viertel einer ganz normalen Stadt. Und hier sehen Sie nun unsere tapfere Schülerin XY, die nun versuchen wird, diese ganz normale Straße in einem ganz normalen Viertel einer ganz normalen Stadt zu überqueren. Bitte begrüßen Sie XY mit einem donnernden Applaus!
Schülerin bedankt sich beim Publikum, verbeugt sich, lächelt, winkt.
Ausrufer: Und nun, meine Damen und Herren, bitte ich um absolute Ruhe. Unsere tapfere XY wird nun versuchen – bitte halten Sie den Atem an, bitte stören Sie nicht ihre Konzentration – sie wird jetzt versuchen, die Straße zu überqueren.
Schülerin setzt einen Fuß auf die Straße, weicht vor dem nächsten daher brausenden Auto zurück. Wiederholt das Manöver immer wieder. Versucht es mit Hüpfen, mit Bücken, mit Anlauf usw.
Wird es ihr gelingen, die rettende andere Straßenseite zu erreichen? Wird sie den richtigen Moment abpassen können? Wird sie die Geschwindigkeit der heranrasenden Boliden richtig einschätzen? Der rettende Gehsteig auf der anderen Seite ist in Sicht. Doch immer wieder wird unsere tapfere XY zurückgeschreckt. Meine Damen und Herren, halten Sie mit mir den Atem an! WIRD SIE ES SCHAFFEN????!!! Jetzt gelingt es! Nein, doch nicht! Noch ein Versuch, vielleicht mit Anlauf? Ach nein, sie schafft es nicht. Aber, meine Damen und Herren, es wird klappen, es muss klappen. Sie muss hinüber, auf die andere Seite, sie kann ja nicht ewig hier versauern. Jetzt, jetzt schafft sie es bestimmt! Ein neuer Versuch – und…
Polizistin mit Schutzengelflügerln ruft: Halt! Halt!
Läuft eilig heran und und stellt sich mit ausgebreiteten Armen vor die Schülerin.
Ausrufer: Aber was ist das? Was sehen wir hier? Ein Schutzengerl stellt sich unserer tapferen XY in den Weg!
Schutzengerl: Das war aber jetzt knapp!
XY: Ach, ich hätte das schon geschafft. Der war eh noch weit weg, das wäre sich locker ausgegangen.
Schutzengerl: Die Geschwindigkeit eines herannahenden Autos ist schwer einzuschätzen, XY! Warum benützt du nicht den Fußgängerübergang da hinten?
XY: Ich will aber genau da drüben hin! Warum soll ich einen Umweg machen?
Schutzengerl: Was ist dir lieber? Ein paar Schritte mehr gehen oder überfahren werden? Ein bisschen Zeit verlieren, oder überfahren werden? Die Straße ist gefährlich, überleben ist wichtiger als Zeit sparen! Die Straße ist für die Autos da. Für die Fußgänger gibt es den Gehsteig und den Zebrastreifen. Wenn du dich nicht in Gefahr bringen willst, musst du dich daran halten!
Ausrufer: Aber da kommt jetzt noch jemand? Wer sind denn diese Leute, was tragen die für Schilder. Darf ich fragen, warum ihr hier seid?
Drei Kinder mit je einem Geschwindigkeitsbegrenzugsschild kommen gelaufen.
Ausrufer: Darf ich fragen, was ihr hier vorhabt?
Die Kinder stellen sich mit ihren Schildern den Autos entgegen. Die Autos bremsen sich quietschend ein. Die Fahrer:innen schreien durcheinander: He, was is los? Seid’s deppat? Des geht doch net! Runter von der Straße! Ja hast denn sowas schon gsehn? Zu meiner Zeit hätt’s des nie geben!
Ausrufer: Was macht ihr denn da? Ihr könnt doch nicht einfach den Verkehr aufhalten?
Kind 1: Doch,können wir! Schutzengerl, du hast die Falsche aufgehalten.
Kind 2: Wenn Autos für Kinder so gefährlich sind, dann muss man doch die Autos aufhalten!
Kind 3: Schutzengerl, stell dich zu uns! Wir Kinder wollen sicher leben!
Ausrufer: Aber wie stellt ihr euch das denn vor? Was wollt ihr denn?
Kind 1: Autos sollen in der Stadt nicht schneller als 30 fahren dürfen!
Kind 2: Aber allerhöchstens! Wir fordern Gleichberechtigung für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen!
Kind 3: Wir wollen unsere Stadt zurück! Die Stadt soll für die Menschen da sein, nicht für Blechkisten.
Ausrufer: Schutzengerl, was sagst du dazu?
Schutzengerl: Ja, die Kinder haben recht! Mit Tempo 30 in der Stadt, 80 auf der Landstraße und 100 auf der Autobahn könnten jedes Jahr viele Menschenleben gerettet werden!
Ausrufer: Da muss ich jetzt nachschauen, ob das stimmt! Ah da steht es: Wissenschaftler:innen haben berechnet, dass durch diese Tempolimits jedes Jahr 116 Menschenleben gerettet werden könnten. Um 7.000 Menschen würden verletzt werden. 13 Kinder sind 2022 im Straßenverkehr ums Leben gekommen. Durch die Tempolimits hätten 4 dieser Todesfälle vermieden werden können.
Ausrufer interviewt die Autofahrer:innen: Und was sagen Sie dazu?
Autofahrer:in 1: Na ja, hm, ich hab ja selber Kinder. Eigentlich könnte ich auch mit der U-Bahn fahren.
Die Kinder applaudieren.
Autofahrer:in 2: Wenn die Autos alle langsamer fahren würden, dann würde ich mich wieder trauen, mit dem Rad zu fahren.
Die Kinder applaudieren.
Autofahrer:in 3: Na ja, von mir aus. Ich hab gehört, dass man weniger Benzin braucht, wenn man langsamer fährt. Da erspart man sich auch was. Und wann wir alle in Österreich weniger Benzin verbrennen, ist das gut fürs Klima.
Die Kinder applaudieren.
Autofahrer:in 4: Tempolimit? Niemals! Da würde ich ja fünf Minuten später in die Arbeit kommen!
Autofahrer:in 5: Wissen Sie was: Es klingt komisch, aber ich hab gehört, wenn alle langsamer fahren, gibt es weniger Stau, und alle kommen früher an!
Autofahrer:in 4: Das glaub ich erst, wenn ich es sehe!
Autofahrer:in 5: Na ja, wenn Sie es sehen wollen, dann müssen wir es gemeinsam ausprobieren.
Die Kinder applaudieren.
Die Autofahrer:innen steigen aus ihren Autos, alle schütteln sich die Hände.
Alle zusammen:
Kinder fordern Sicherheit! Dreißig, achtzig hundert!
Kinder fordern Sicherheit! Dreißig, achtzig hundert!
Kinder fordern Sicherheit! Dreißig, achtzig hundert!
Kinder fordern Sicherheit: Die Spielstraße
Die Autos fahren wieder auf der Straße. Kinder stehen am Rand.
Ausrufer: Achtung, Achtung! Eine wichtige Durchsage! Achtung, Achtung! Eine wichtige Durchsage! Neue Spielstraßen in ganz Wien! Ich wiederhole: Neue Spielstraßen in ganz Wien!
Die Kinder: Was? Wirklich? Wo denn? Da wollen wir hin!
Ausrufer: Die Stadt Wien hat das neue Projekt „Spielerisch durch Wien“ ins Leben gerufen. Ganze Straßenabschnitte werden für den Autoverkehr gesperrt, um Kindern und Jugendlichen eine kreative und spielerische Aneignung dieser Räume zu ermöglichen.
Das Polizistenschutzengerl hält die Autos auf, treibt sie hinaus.
Die Kinder: Juhuu! Bravo! Super! Usw.
Ausrufer: Zum vielfältigen Spielangebot zählen unter anderem Schwungtücher, Jongliermaterial, Straßenkreiden und Riesenseifenblasen.
Die Kinder (auch die, die vorher Auto gefahren sind) beginnen zu spielen: Bälle, Federball, Jongliertücher, Seifenblasen, einige fahren mit ihren Pappfahrrädern herum oder spielen Fangen.
Ausrufer: Ich bitte um Aufmerksamkeit für eine Mitteilung des Vizebürgermeisters und Jugendstadtrats Christoph Wiederkehr. Achtung: Mitteilung des Vizebürgermeisters und Jugendstadtrats Christoph Wiederkehr. Bitte Herr Stadtrat, würden sie uns noch einmal sagen, was in ihrer Presseaussendung vom 30. Mai 2023 steht?
Jugendstadtrat: Sehr gerne, lieber Gernot! „Mit dem Projekt ‚Spielerisch durch Wien‘ wollen wir jungen Wiener*innen zeigen, dass städtische Räume nicht nur Verkehrsräume sind, sondern auch Orte des Spielens und Entdeckens. Kinder und Jugendliche brauchen Freiräume, um ihre Neugierde, Kreativität und ihren Bewegungsdrang ausleben zu können. Ich bin überzeugt davon, dass wir ihnen mit diesem Projekt unvergessliche Erlebnisse bescheren werden.“
Die Kinder: Hurra! Bravo Herr Jugendstadtrat! Endlich! Zeit wird’s! Kinder brauchen Freiräume! Spielen! Entdecken! Die Straße gehört den Kindern!
Ausrufer: Mitteilung auf der Webseite der Stadt Wien: Kinder und Jugendliche werden in der Stadt immer wieder von parkenden oder fahrenden Autos verdrängt..
Die Kinder: Genau! Stimmt! So ist es! Ja wirklich!
Ausrufer: …von ruhebedürftigen Erwachsenen vertrieben oder aus Sicherheitsgründen kontrolliert und reglementiert. Junge Menschen brauchen aber für ihre gesunde Entwicklung Gelegenheiten zum Spielen und Bewegen im Freien.
Die Kinder: Stimmt! Nicht immer nur im Kinderzimmer hocken! Nicht immer warten müssen, bis wer Zeit hat, mit uns in den Park zu gehen!
Ein Kind: Aber Gernot, legst du uns auch nicht rein? Steht das wirklich da?
Ausrufer: Ich kann’s euch auf meinem Handy zeigen! Da steht, es auf der Webseite der Stadt Wien: Zusätzlicher Spielraum soll zur Verfügung gestellt werden.
Die Kinder: Bravo!
Ausrufer: Straßenspielkultur soll wiederbelebt werden!
Ein Kind: Das steht wirklich da? Auf der Straße spielen ist Kultur?
Ausrufer: Ja, da steht sogar: Kindern soll gezeigt werden, dass die Aneignung von Straßen möglich und erlaubt ist!
Die Kinder: Wow! Unglaublich! Ja, wir eignen uns die Straßen an! Es ist möglich! Es ist erlaubt! Die Straßen für die Kinder! Keine Angst vor Autos! Wir erobern die Stadt!
Musik, Kinder spielen und tanzen, werfen Bälle, machen Seifenblasen! Musik endet abrupt.
Ausrufer: Achtung, Achtung, die Spielstraßen endet um 18 Uhr!
Die Kinder: Häh? Was? Was ist jetzt los?
Ausrufer: Achtung, in wenigen Minuten ist Spielschluss. Bitte die Straße für den Verkehr freimachen! In wenigen Minuten ist Spielschluss! Die Spielstraße ist beendet!
Die Kinder: Was? Wie? Warum?
Ausrufer: Die Spielstraße dauert von 14:30 bis 18:00 Uhr. Um 18:00 Uhr ist Spielschluss! Bitte die Straße für den Verkehr freigeben!
Die Autos fahren wieder herein, werden geparkt
Ein Kind: Na schön, dann kommen wir morgen wieder!
Ausrufer: Die Stadt Wien hofft, dass ihr ein unvergessliches Erlebnis hattet! Und nächstes Jahr gibt es wieder in jedem Bezirk eine Spielstraße! Eine Spielstraße pro Bezirk! Einen ganzen Nachmittag lang! Jawohl, einmal im Jahr ist die Aneignung von Straßen möglich und erlaubt! Einmal im Jahr dürfen Kinder die Stadt erobern!
Die Kinder (enttäuscht): Meh! Och! So eine Verarsche! Was ist jetzt mit der Straßenspielkultur? Wo bleiben jetzt unsere Freiräume? Was ist mit Spielen und Entdecken? (Lassen Spielsachen fallen, gehen mit hängenden Schultern herum).
Ein Kind: Wir lassen uns das nicht gefallen! Wenn es heute gegangen ist, warum dann nicht immer? Spielstraßen das ganze Jahr! Freiräume das ganze Jahr!
Die Kinder:
Wir wollen Spielstraßen! Die Straßen für die Kinder!
Wir wollen Spielstraßen! Die Straßen für die Kinder!
Sicherheit auf allen Straßen! Dreißig, achtzig hundert!
Sicherheit auf allen Straßen! Dreißig, achtzig, hundert!
Links zum Thema „Spielstraße“ in Wien:
https://www.wien.gv.at/freizeit/bildungjugend/jugend/spielstrasse.html